01.02.2024

Bruckners „Studiensinfonie“

Zum weltweit ersten Mal werden im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 2024 alle elf Sinfonien Bruckners im Originalklang zur Aufführung kommen, eine Entdeckungsreise in elf Konzerten, die als Zyklus nur im Brucknerhaus Linz und dort jeweils exklusiv in Österreich zu hören sind. 

Die Sinfonien erklingen dabei stets in ihrer Erstfassung, gespielt werden sie von elf der renommiertesten Originalklangorchester Europas unter der Leitung von elf namhaften Dirigenten. Im Interview geben sie Auskunft über ihre Sicht auf Bruckner und darüber, welche Erwartungen sie mit Blick auf dieses besondere Projekt haben.

Am 28. September präsentiert Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Stefan Gottfried Anton Bruckners Sinfonie „Studiensinfonie“ f-moll, WAB 99 (1863) sowie Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy und Ludwig van Beethoven.

 

Stefan Gottfried im Interview 

Jan David Schmitz: Wieso eigentlich Bruckner im Originalklang?

Stefan Gottfried: Um jede Art von Musik in ihrem Entscheidenden, nämlich in ihrer Klanglichkeit, wirklich verstehen zu können, ist es notwendig zu wissen, mit welchem „Klang im Ohr“ sie konzipiert wurde. Dafür braucht es die Beschäftigung mit dem Instrumentarium der Entstehungszeit. Dies gilt für Johann Sebastian Bach genauso wie für Ludwig van Beethoven – und auch für Anton Bruckner. Man muss sich klarmachen, dass sich die Instrumente bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in vielen baulichen und klanglichen Details von den heute verwendeten unterscheiden.

JDS: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen der Aufführung einer Bruckner-Sinfonie auf historischen im Vergleich zu modernen Instrumenten?

SG: Der wichtigste Unterschied besteht in den ganz anderen Balanceverhältnissen, vor allem aufgrund der verwendeten Darmsaiten bei den Streichinstrumenten. Überraschen wird dann die andere Farbigkeit des Orchesterklangs. Man wird, wenn man so will, ganz neuartige „Register“ in Bruckners „Orchester-Orgel“ erleben können. Es wird sich darüber hinaus eine andere Form von „Monumentalität“ einstellen: genauso kraftvoll und energetisch, aber mit anderen Farbnuancen und mit weniger Dezibelstärke.

JDS: Weshalb hat die historische Aufführungspraxis gerade um Bruckners Sinfonien so lange einen großen Bogen gemacht?

SG: Bruckners Sinfonik steht in der Musik des 19. Jahrhunderts einzig da – „ein Meteor aus einer anderen Galaxie“, wie es Nikolaus Harnoncourt beschrieben hat. Sie und damit auch ihre Aufführungspraxis lassen sich nicht ableiten aus dem Strom der sie umgebenden musikalischen Traditionen. Es braucht daher eine eigene Beschäftigung, die gar nicht so leicht zu bewerkstelligen ist, da es zu Bruckner viel weniger aufführungspraktisches Quellenmaterial gibt als zum Beispiel zu Johannes Brahms. Ein nicht leichtes, aber spannendes Unterfangen.

JDS: Wie wird der Einsatz des historischen Instrumentariums unser Bruckner-Bild verändern?

SG: Das werden wir nach dieser erstmaligen Gelegenheit der zyklischen Aufführung aller elf Sinfonien im Originalklang sehen. Wir sind sehr gespannt darauf. Auch für den Concentus Musicus Wien werden das neue Erfahrungen sein, konnten wir uns doch erst einmal (ebenfalls im Brucknerhaus Linz) mit seiner Musik auseinandersetzen. Damals waren es frühe Einzelstücke, jetzt ist die Zeit reif für eine Sinfonie.

JDS: Warum die „Studiensinfonie“? Was fasziniert Sie an diesem Werk?

SG: Genauso wie Erreichtes und Gefundenes sind auch die Entwicklungslinien dorthin interessant und es ist lohnend, sich damit zu befassen. Welche Wege ist einer der größten Orgelimprovisatoren gegangen, um einer der größten Sinfoniker zu werden? Da verrät die „Studiensinfonie“ vieles. Dass er später mit ihr unzufrieden war, schmälert ihren Wert überhaupt nicht. Wer ist schon, wenn er zurückblickt, mit allem zufrieden?

 

Stefan Gottfried © Wolf Dieter Grabner
Stefan Gottfried © Wolf Dieter Grabner
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